Schauplatz Bäcki/Schönau im Kreis 4 Zürich - CTPFEE, Lebensfreude (Bericht, Betrachtung, Lösung)

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Schauplatz Bäcki/Schönau im Kreis 4 Zürich

Verlag
Nr. 002 Kreis 4, 2001
Schauplatz Bäcki/Schönau im Kreis 4 Zürich. In meinem Büro, Schlafzimmer und Atelier in der Grösse einer Friedhofsparzelle von 7,82 m2 am Ende der Brauerstrasse, neben den Abstellgeleisen im Kreis Chaib, wird es mir um 00.30 Uhr zu eng.

Ich halte inne mit Schreiben und Malen und denke daran, wie so oft nach Mitternacht, mir an der Langstrasse etwas Süsses zu holen. Sicher wird es wieder ein Raisin vom französischen Patissier sein, ähnlich einem Schnägg, aber unordendlicher und mit farbigen kandierten Fruchtsplittern in den Rillen. Ich freue mich darauf, etwas später mit den Bähnlern in deren Nachtschichtspause einen Kaffee zu trinken. In der gemeinsamen Küche mit Manuel aus Portugal oder Habib aus Kosovo, über das Alltägliche wie Familie, Arbeit, Lebenskosten und Politik zu sprechen.

Auf dem Weg zu den Süssigkeiten an der Langstrasse komme ich an der katholischen Kirche des heiligen Don Bosco's vorbei, der sich in Turin Zeit seines Lebens um Jugendliche ohne Nahrung, Dach über dem Kopf, Schulbildung und Arbeit kümmerte. Ich überquere eine Kreuzung, wo am Tag manchmal alle VerkehrsteilnehmerInnen gleichzeitig grün haben und stehe vor der Bäckeranlage.

Nicht viel ist los. Telefonkabine ist leer, WC-Häuschen ist abgeschlossen, niemand entsorgt Altglas, dealt, bunkert, buddelt zwischen den Büschen, spritzt Drogen, reinigt die Spritze am Brünneli, picknickt, betreut seine Kinder, isst und trinkt, spielt Pingpong oder Federball, schifft in die Büsche oder an die Stämme, führt den Hund "spazieren", betet, sonnt sich, übt Theater oder Gedichte, verkauft CD-Player, teure Sackmesser oder Bier, lässt Drogen mit dem Auto abholen, macht mündlich oder telefonisch Liefertermine und Treffpunkte ab, fährt ein Kind mit dem Kinderwagen spazieren, schaukelt, durchquert zu Fuss die Bäcki, liest, diskutiert, zieht den Riemen am Arm an, schaukelt, meditiert, streitet, wird handgreiflich, schläft, reinigt, kontrolliert, spaziert, fährt Auto, Töffli oder Velo in der Allee, raucht, wäscht sich am Brunnen das Blut vom Arm ab, löscht den Durst, lässt den Hund trinken, zieht sich um, stellt ein Kunstwerk aus, musiziert, filmt, erzählt, weint, jauchzt vor Freude, fotografiert, beobachtet, tanzt, ruht aus oder schläft.

Auch zwischen Bäcki und Restaurant Schönau zirkulieren nur wenige Personen. Sogar nicht mal ein Hund ist draussen! Klar, es ist ja schon spät, d.h. morgens gegen halb ein Uhr. Die zwei Tische vor der Schönau sind schon in der Beiz versorgt.

Die auf der Strasse herumtorkelnde Frau fällt daher besonders auf. Ich kann die Seite nicht wechseln, so gedankenlos vorbeigehen, dies würde genauso auffallen.

Dieser Mensch findet ja den Weg nicht mehr, stelle ich erschrocken fest. So gehe ich direkt auf die junge Frau zu, spreche sie an, frage ob ich irgendwie helfen könnte, schlage vor, sie in das Frauenhaus zu begleiten und alles zu bezahlen. Die mir bekannten Notschlafstellen sind ja alle schon längst geschlossen, sage ich zu ihr.

Die junge Frau will mein Ziel, sie aus dem Elend herauszuholen, nicht begreifen. So erkläre ich es ihr nochmals langsam, dass sie ja in dem Zustand den Weg alleine nicht mehr finden werde, und ich das Frauenhaus und das Taxi garantiert bezahlen werde. Sie geht leider nicht darauf ein, ich muss sie ein wenig stützen, und sie erzählt mir, dass ihr Vater gestorben sei.

Wie schlimm muss das sein. So könnte es auch meinen drei Töchtern ergehen. Was soll ich da machen, frag ich mich verzweifelt.

Da äussert sie ihren Wunsch, sie möchte noch ein Bier trinken. Sonst brauche sie nichts.

Wie verrückt die Situation, verzweifelt meine Lage ist! Komme ich nach dem Bier zum Ziel, die junge Frau mit dem Taxi in das Frauenhaus zu bringen?

Ich will nicht in die Schönau hineingehen, und sage, dass es mir sehr stinkt, ein Bier für Draussen zu bestellen.

Ich muss hinein, um vielleicht mein Ziel zu erreichen, sage ich mir, wohlwissend, dass ich für Draussen keine Stange Bier mehr bekomme, ausser Flaschen über die Gasse, denn die Stehtische sind weggeräumt.

Wie vorausgeahnt gibt es nichts mehr. So sag ich zum beinahe "Trinkerelend", dass der Kellner nichts mehr bringe, und wir drinnen in der Schönau konsumieren müssen, und dass an und für sich geschlossen sei. Auf meine Bitte hin nur eine Stange Bier zu trinken, hätte ich vom Kellner ein O.K. erhalten.

Wir gehen hinein und bleiben am linken Stehtisch stehen. Die Stange wird gebracht. Die junge Frau spült diese nur so hinunter, und oh weh, schon kommt die Flasche des Nachbarn vis à vis dran. Dies kann ich verhindern, indem ich ausrufe: "Das geht doch nicht! Die gewünschte Stange haben Sie bekommen. Sie sind ja schon sehr schlecht zwäg." Darauf umarmt die junge Frau mich und erwidert, ich sei wirklich ein guter Mensch. Mir ist dies mehr als peinlich.

Frauenhaus nein, Bier ja, letzteres bringt Freude/Freiheit/Vergessen?

Meine Augen, Ohren und mein Geist nehmen alles schnell und vernetzt auf. Nichts zu Essen, nur Bier wird grösstenteils aus der Flasche getrunken. Wenige trinken Wein. Leute mit viel Geld haben TrinkerInnen von harten Sachen um sich.

Ich bin berührt vor so viel erhaltener Dankbarkeit, nach so wenig Zeit- und Geldeinsatz.

Kassenquittungen zum Mitnehmen gibt es keine. Auf meine Bitte hin gibt mir der Kellner der Schönau ein kleines Papier und einen Kugelschreiber. Ich schreibe

Erotik-Schuppen der Gefühle
 
  5-Stern in den Gläsern,
Frauen wie Pferdchen
auf dem Schachbrett.
Wie endet das Spiel?
 
  Talentschuppen für Probleme.
Saufen oder balzen.
Rülpser in der Luft.
 
  Erlebnisse könnten
Bücher füllen.
 
Bald nichts mehr
für die Einen?

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